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ISSN 1439-9326

Heft 3-2001

Kulturberührungen

Konstanze Senge
Chants, Metta und Retreats: Religiöse Mittel für innerweltliches Glück. Eine soziologische Analyse buddhistischer Schulen in Boston, USA

Die vorliegende Studie versucht die Frage zu beantworten, worauf der Buddhismus eine Antwort ist: Welchen sozialen Sinn macht eine Konversion zum Buddhismus für den weltzugewandten Amerikaner? Untersucht wurden drei buddhistische Schulen in Boston, USA: Soka-gakkai, Vipassana und Nyingma. Es wird gezeigt, dass buddhistisches Gedankengut von Amerikanern aufgenommen und entsprechend der eigenen Lebenslage angepasst und verändert wurde. (Kulturüberschreitende) Konversion gilt somit als Motor des sozialen und religiösen Wandels. Methodisch schließt das Vorgehen an die Ideen von Gla-ser/Strauss an (Grounded Theory), methodologisch ist es den Prämissen einer hermeneutischen Wissenssoziologie verpflichtet.

Rosa Maria Jiménez Laux
Soziales Kapital und Geschlecht auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Migrationsbiografien marokkanischer Hausmädchen in Spanien

Die Migration marokkanischer Frauen und ihre Eingliederung in den spanischen Arbeitsmarkt als Hausmädchen in Privathaushalten werden mit biografischen und ethnographischen Methoden untersucht. Es wird versucht die beiden methodischen Stränge in der Praxis und Analyse zu verbinden. Anhand einer Fallanalyse wird das Zusammenwirken von biografischen und strukturellen Lebensbedingungen mit den Arbeitsbedingungen im Privathaushalt im Einwanderungsland aufgezeigt. Mit dem Konzept der „Gefühlsarbeit“ werden die Arbeitsbedingungen der marokkanischen Hausmädchen und ihre Beziehungen zu den Arbeitgeberinnen näher beleuchtet. Die Einstellung von Bediensteten im spanischen Privathaushalt ist zum einen als Fortführung der Tradition in den oberen spanischen Schichten, sowie als Folge veränderter Lebensentwürfe europäischer Frauen zu betrachten. Fehlende Dienstleistungen im Pflege- und Erziehungsbereich in Wohlfahrtsstaaten erklären zudem den hohen Transfer des sozial und geschlechtsspezifisch nachgefragten Kapitals der Migrantinnen für Privathaushalte auf dem internationalen Arbeitsmarkt.

Till Förster
Sehen und Beobachten. Ethnographie nach der Postmoderne

Die teilnehmende Beobachtung war nicht nur der methodische Kern der Ethnographie, sondern identitätsstiftend für die Ethnologie als Disziplin. Dennoch ist in der Ethnologie erstaunlich wenig über das Beobachten als methodische Grundlage des Faches reflektiert worden. Was zeichnet aber die ethnographische Beobachtung gegenüber dem alltäglichen Sehen aus? Welche Bedeutung hat das alltägliche Sehen für die Ethnographie? Und lässt sich schließlich das Sehen in der ethnographischen Beschreibung einholen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Artikels. Ein Rückblick auf die Geschichte der Ethnologie zeigt, dass die Bedeutung des alltäglichen Sehens vielen Feldforschern zwar bewusst war, doch in der Regel wird es in den Dienst einer auf kognitive Deutungsmuster zielenden Beschreibung gestellt. Dagegen eröffnet der Versuch, sich dem vorprädikativen, aber gleichwohl intentionalen Sehen zuzuwenden neue Möglichkeiten, die Sedimentierung alltäglicher Erfahrung und alltäglichen Wissens zu erfassen. Sehen als ein Handeln und ein Zugriff auf die Welt eröffnet eine andere methodische Perspektive, in der die Bildung nicht sprachlich gefasster Wissensbestände in den Blick genommen werden kann.

Allgemeiner Teil

Stefanie Tränkle
Mediation im Rahmen des Strafrechts. Eine interaktionsanalytische Untersuchung der Strukturprobleme im Täter-Opfer-Ausgleich

In diesem Beitrag geht es um den Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), der eine als Mediation organisierte außergerichtliche Alternative zum Strafverfahren darstellt. Es werden Strukturprobleme ermittelt, mit denen bei der Durchführung dieses Verfahrens zu rechnen ist. Dazu wird der Einfluss untersucht, den rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen auf die zwischen Täter, Opfer und Vermittler inszenierten Interaktionen haben können. Insbesondere die Abhängigkeit des TOA-Verfahrens vom fallzuweisenden Justizsystem und das Aufeinandertreffen von mediativer und juristischer Verfahrenslogik werden beleuchtet. Obwohl jeder Fall ursprünglich ein Strafverfahren ist, ist TOA der Idee nach der Versuch der Umgehung der juristischen Rahmung. Der Beitrag zeigt, dass diese nicht ausgeblendet werden kann, sondern im Gegenteil durch Determinierung der Handlungschancen der Akteure Einfluss auf die Interaktion nimmt.

Diskussion

Christine Plaß, Michael Schetsche
Grundzüge einer wissenssoziologischen Theorie sozialer Deutungsmuster

In Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen heuristischen Deutungsmusterkonzepts U. Oevermanns und dessen Aktualisierung aus dem Jahre 2001 wird hier eine wissenssoziologische Theorie sozialer Deutungsmuster formuliert, die als Fundament für die empirische Analyse sozialer Wissensbestände und ihrer kollektiven Anwendung dienen soll. Das vorgelegte theoretisch-methodische Programm schließt einen radikalen Perspektivenwechsel ein: ,Deutungsmuster‘ wird vom subjektorientierten Schematakonzept zu einer zentralen Formkategorie sozialen Wissens. Dazu werden drei Basisannahmen einer wissenssoziologischen Deutungsmustertheorie postuliert und die zentralen sozialen Funktionen dieser Wissensform diskutiert. Ausgehend von diesen Postulaten werden sechs Elemente von Deutungsmustern theoretisch bestimmt. Der Beitrag schließt mit Hinweisen auf methodische Konsequenzen, die sich aus dem vorgeschlagenen Perspektivenwechsel ergeben.

Ulrich Oevermann
Kommentar zu Christine Plaß und Michael Schetsche: „Grundzüge einer wissenssoziologischen Theorie sozialer Deutungsmuster“

In Reaktion auf den Beitrag von Christine Plaß und Michael Schetsche wird nochmals (cf. sozialersinn 1/2001) die Zielrichtung der Konzeption sozialer Deutungsmuster als eines kollektiven ‚tacit knowledge‘ verdeutlicht: dass Deutungsmuster wie theoretische Argumentationszusammenhänge strukturierte kognitive Gebilde sind, die für eine Kollektivität von Individuen gelten; dass Deutungsmuster sowohl die konkrete subjektive Disposition zum Handeln bestimmen als auch von den konkreten Individuen ablösbare, kollektive und einen milieuspezifischen Verbindlichkeitsanspruch erhebende Gebilde sind. Weiterhin wird nochmals der Begriff objektiver Authentizität als wichtiges Kriterium zur Unterscheidung von Lifestyle und Deutungsmuster erläutert. Schließlich wird die Relevanz des objektiven Handlungsproblems für die Konstitution von Deutungsmustern herausgestellt, die in diesem Bedingungsverhältnis als Krisenlösungen spezifiziert werden.

Zeitzeichen

Richard Utz
Sich weit Hinauslehnen. Versuch über ein Karrieremuster in der Erfolgsgesellschaft

Der Artikel exploriert das Handlungsmuster des „Sich-weit-Hinauslehnens“, seine räumlichsozialen Voraussetzungen, seine spezifischen Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen. Die Exploration wird an zwei exemplarischen Situationen durchgeführt: Erstens an der räumlichen Situation des Fensterplatzes, deren Verhaltenskonsequenzen an der Rolle des Fensterguckers beschrieben werden; zweitens an der sozialen Situation des Aufstiegskampfes in der Erfolgsgesellschaft, deren Risiken und Chancen an der Rolle des Karrieristen analysiert werden.